in der chaosradio-sendung vom 25.08.2010 wurde die frage aufgeworfen, ob die diesjährige demonstration „freiheit statt angst“, die seit 2007 einmal im jahr in berlin stattfindet, wichtig oder eine überflüssige tradition sei?
angesichts des aktuellen datenschutz-diskurses (genannt seien stichworte wie streetview oder arbeitnehmerdatenschutz) scheint bei oberflächlicher betrachtung die antwort zunächst klar: datenschutz und privatsphäre stehen weiter im licht der öffentlichen aufmerksamkeit und erhitzen in unterschiedlichster form die gemüter. datensammel-projekten wie dem elektronischen ausweis (e-ausweis), dem elektronischen entgeltnachweis (elena) oder der elektronischen gesundheitskarte (egk) muss die stirn geboten und flagge gezeigt werden.
doch ist eine demonstration in der heutigen zeit das richtige mittel?
als im jahre 2007 die ersten beiden demonstrationen unter dem motto „freiheit statt angst – stoppt den überwachungswahn“ – im märz in frankfurt und im september in berlin – stattfanden, war der gemeinsame nenner innerhalb des sich für die organisation der demo verantwortlich zeichnenden arbeitskreis vorratsdatenspeicherung, kurz ak vorrat, die zu der zeit noch bevorstehende vorratsdatenspeicherung. schon damals gingen mehrere tausend menschen auf die straße, jedoch hielt sich die öffentliche resonanz außerhalb der datenschutzszene-relevanten medien in grenzen. das thema war neu, das interesse beim mainstream gering, die beteiligung an den demos noch überschaubar.
dann kam der höhepunkt: 2008 kamen (die zahlen schwanken stark) zwischen 50.000 und 100.000 menschen in berlin vor dem brandenburger tor zusammen und demonstrierten gegen vorratsdatenspeicherung, videoüberwachung, e-pass und weitere einschränkungen der privatsphäre. doch trotz dieser großen teilnehmerzahl und gestiegenem öffentlichen interesse (der diskurs kam quasi gerade so richtig in gang) war auch diesmal die resonanz in den etablierten – und damit die öffentliche meinung beeinflußenden – medien eher gering. anfang 2009 trat dann die vorratsdatenspeicherung in kraft, gegen die, auf initiative des ak vorrat, gleich zu beginn des jahres über 30000 betroffene beim bundesverfassungsgericht in karlsruhe beschwerde einlegten.
beflügelt von den teilnehmerzahlen in 2008 und parallel zum „demo-krieg“ fand im wahljahr 2009 abermals eine demonstration in berlin statt. neu war diesmal, dass nicht der ak vorrat, sondern ein aus über 150 verschiedenen initiativen und organisationen konstituiertes demonstrationsbündnis „freiheit statt angst“ die organisation übernahm. an diesem bündnis aktiv beteiligt waren neben parteien (linke, grüne, piraten, fdp) auch gewerkschaften, datenschutz-verbände und zahlreiche dem thema nahestehende organisationen. die kosten stiegen, parteien wie die grünen, die piraten und die linke übertrafen sich gegenseitig beim protzen und die teilnehmerzahlen gingen spürbar zurück. und dies obwohl die themen datenschutz, privatsphäre, überwachung endlich in der öffentlichen debatte angekommen waren: es gab talkshows zur vorratsdatenspeicherung, umfangreiche artikel in den großen tages- und wochenzeitungen und debatten in den politischen institutionen. doch einzig wegen eines schlimmen übergriffs seitens der polizei kam die demonstration auf allen kanälen. anschließend wechselte die bundesregierung von schwarz-rot zu schwarz-gelb und die kommunikationsdaten wurden immer noch für ganze 6 monate verdachtsunabhängig gespeichert.
erst im märz diesen jahres kippte dann endlich das verfassungsgericht in seiner entscheidung zur vorratsdatenspeicherung die verdachtsunabhängige speicherung der bei der elektronischen kommunikation anfallenden verbindungsdaten und verlangte die unverzügliche löschung aller bisher gespeicherten daten. die vorratsdatenspeicherung ist seitdem geschichte. eines der ziele des ak vorrat war erreicht. die nerds hatten erfolg.
zu verdanken ist diese positive entwicklung, die zur stärkung des rechts auf informationelle selbstbestimmung geführt hat, aber keinesfalls den in 2007, 2008 und 2009 durchgeführten demonstrationen. vielmehr hat erst die beschwerde vor dem bundesverfassungsgericht die abschaffung der vorratsdatenspeicherung ermöglicht.
angesichts der kosten, die für die diesjährige demonstration veranschlagt sind (immerhin über 40000 euro) und der stagnierenden teilnehmerzahlen, ist die frage nach sinn oder unsinn von solchen „demonstrations-events“ überaus berechtigt, da – wie das beispiel der vorratsdatenspeicherung zeigt – offensichtlich andere mittel und wege geeigneter scheinen, bestimmten politischen entwicklungen paroli zu bieten.
bewirken ausgaben für umweltschädlich produzierte werbemittel, für veranstaltungstechnik und allerlei sonstige – mit der demonstration in verbindung stehende – notwendigkeiten wirklich das, was sich die macher davon versprechen? beeinflußen mehr oder weniger große demonstrationen tatsächlich die entscheidungen politischer entscheider? leben wir in mehr freiheit und weniger angst, weil einmal im jahr ein paar tausend datenschützer demonstrieren, oder ist es nicht vielmehr so, dass der datenschutz-diskurs inzwischen von anderen adaptiert, umgedeutet und damit letzlich instrumentalisiert wurde? sind vermeintliche erfolge wie das recht auf widerspruch gegen googles streetview oder überlegungen zum arbeitnehmerdatenschutz nicht eigentlich nebelkerzen, die eine nicht-vorhandene sensibilität gegenüber dem recht auf privatsphäre vorgaukeln sollen?